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Die Geschichte von Essig reicht sehr weit zurück. In der Tat ist Essig eines der ältesten Produkte der Menschheit. Er ist in dokumentierter Form noch wesentlich älter als Brot oder Käse. Industrieessig, Apfelessig und Balsamico sind Produkte von heute. Die eines gemeinsam haben: eine geschichtsträchtige Vergangenheit.
Essig gibt es seit über 5.000 Jahren. Seine Geschichte beginnt nicht in der Küche, sondern vor der klassischen Antike und begleitet die Entwicklung unserer Zivilisation. Dabei ist seine Entstehung auf einen Zufall zurückzuführen, denn der Wein verdarb, wurde sauer. Und dieser Zufall veränderte die Welt, als Essig.
Nach dieser Entdeckung vor der Antike ließen die Menschen absichtlich Wein stehen, um Essig zu gewinnen. Denn die Griechen, wie auch kurz darauf die Römer, fanden schnell heraus, was sich damit anstellen lässt. Mit Wasser vermischt wurde er zum Getränk, das auf einmal nicht mehr krank machte.
So griff das römische Militär bevorzugt auf "Posca" als tägliche Ration für die Soldaten zurück. Posca ist einfach nur Wasser mit Essig. Griechen und Römer würzten ihre Speisen und Saucen mit Essig, sie mochten den säuerlichen Geschmack, genau wie wir heute auch.
Und sie fanden heraus, dass Essig neben "Oxymel" (mit Honig) als Stärkungsmittel, Essig pur zur Wundreinigung und Desinfektion geeignet ist. Mit Hippokrates ist Essig eines der ältesten schriftlich belegten Heilmittel. Es wurde gegen Fieber, Insektenstiche und für die Verdauung eingesetzt.
Selbst in der Bibel findet Essig als "saurer Wein" seine Erwähnung. Er wurde als Posca bei der Kreuzigung Jesu eingesetzt und reinigte Tempel. Schnell kristallisierte sich ein erst wesentlich später offiziell entstandener neuer Beruf heraus: Essigmacher, die Essig herstellten und verkauften.
Bei den Römern gab es aber auch einen negativen Punkt. Denn ihr Geschirr hatte bleihaltige Legierungen. Und Essigsäure löste Blei aus diesen Gefäßen. Dadurch wurde das Essigwasser süßlich und wurde zum Süßen von Wein verwendet. Mit den Folgen von chronischen Bleivergiftungen.
Nach dem Fall des römischen Reichs verschwand Essig fast von der Bildfläche. Wein stand als Handelsware nicht mehr zur Verfügung und mit ihm verschwand der Essig. Aber das Wasser war weiterhin verkeimt und verursachte Krankheiten. Lebensmittel verdarben und die Hygiene war sowieso mies.
So blieb Essig als Lösung im Hinterkopf. Doch wie daran kommen, wenn das Wissen darum schon fast in Vergessenheit geraten ist? Wer Essig herstellen konnte, war klar im Vorteil. So entwickelte sich langsam der Beruf Essigmacher. Und mit diesen Herstellern trat Essig einen neuen Siegeszug durch die Welt an.
Er wurde gelagert und es wurde Handel damit betrieben. Denn wer Essig hatte, war im Vorteil, gewann an Macht. In manchen Regionen wurde er sogar als Steuer oder Abgabe akzeptiert. Je stärker und reiner er war, desto höher sein Wert. So wurden die Rezepte der Essigherstellung gehütet wie ein Schatz.
Durch den medizinischen Bedarf und die Kombination mit Kräutern entstand Heilessig, denn Medizin ohne Essig war zu dieser Zeit undenkbar. Die saure Flüssigkeit wurde zum Statussymbol in wohlhabenden Haushalten. Und auch die Religion konnte nicht darauf verzichten und so bekam er eine spirituelle Komponente.
In der Zeit zwischen Antike und Mittelalter durchlebte Essig einen starken Wandel. Von fast überall verfügbar, über das äußerst knappe Gut, bis hin zur kontrollierten Produktion. Mit diesem Wandel erreichte er einen sehr hohen Stellenwert, war praktisch in fast allen Bereichen unverzichtbar. Denn Essig löste Probleme.
Im Mittelalter trat Essig seinen Siegeszug an. Der Glaube damals war, dass schlechte Luft, die so genannte Miasma, Krankheiten übertrug. So wappneten sich die Menschen mit Essig, tränkten Tücher damit und hielten sie sich vor Mund und Nase. Sie versetzten ihn mit Kräutern, um damit die Luft zu reinigen.
Auch in Klöstern gewann er immer mehr an Bedeutung. Klöster waren im Mittelalter der Speicher für Wissen und eine Produktionsstätte für Essig. So stellten Mönche Essig für die Klostermedizin her, reinigten Wunden damit und wendeten ihn gegen Fieber an. Er wurde als heilend, reinigend und heilig angesehen.
Lange bevor das Wissen um Bakterien überhaupt bekannt war, wurde Essig dagegen eingesetzt. Kleidung, Werkzeuge und Räume wurden damit desinfiziert. Auch für die Körperpflege diente er als Hautmittel. Und natürlich wurde damals auch "altes Wissen" benutzt, um Lebensmittel zu konservieren.
Während der Pest im 14. Jahrhundert tauchte der Vier-Diebe-Essig auf. Eine Mischung aus Essig, Knoblauch, Lavendel, Rosmarin, Salbei und Nelken. Die Legende besagt, dass dieser Diebe bei der Plünderung vor der Pest schütze. Ob nun Aberglaube oder nicht, der Kern ist wahr: Essig wirkt antiseptisch.
Vor allem in Deutschland, Frankreich und Italien entstanden im Mittelalter städtische Essigmacher Zünfte. Die Produktion wurde reglementiert, um seine Qualität und Reinheit zu garantieren. Der Verkauf verlagerte sich in Apotheken, auf Märkte und in Hospitäler. Und es gab sogar eine Essigsteuer.
Es vergingen noch hunderte von Jahren, bis Essig zu dem wurde, was wir heute kennen. Aber auch dieser Weg ist sehr interessant. Er begann mit dem Orléans Verfahren in Frankreich ab dem 17. Jahrhundert. Dabei wurde:
Zeitgleich entstand die Balsamico Tradition in Modena. Traubenmost wurde über Jahre in Holzfässern gelagert, was zum ersten Aceto Balsamico Tradtionale, dem dichten, süß-säuerlichen Essig führte. Dabei wurde dieses Verfahren nur innerhalb der Familien weitergeben, ein Fass stand für eine Generation.
Aber Essig wurde im Wandel der Zeit nicht mehr nur aus Wein gewonnen. In Nord- und Mitteleuropa entstand Apfelessig. In Brauereien Bieressig und der heute noch sehr beliebte Malzessig. Und in Asien entstand der Reisessig. Dieser Wandel steht für regionale Essigkulturen mit jeweils ganz eigenem Geschmack.
Ab circa dem 17. Jahrhundert entwickelte sich Essig zur Handelsware als Markenprodukt. Orléans, Jerez, Modena, Wien und Augsburg waren die berühmtesten Herstellungstädte. Dabei stand jede Region für ihren eigenen Stil. Der Essig wurde in Holzfässern als wertvolles Gut über Land und Fluss transportiert.
Etwas später wurden in Frankreich und Italien bestimmte Regionen für den Essig gesetzlich geschützt. IGP und DOP lebt noch heute. Auch wurde damit begonnen, ihn in Glasflaschen abzufüllen und zu etikettieren. Das gab ihm nicht nur ein Gesicht, sondern er wurde Geschenkartikel und Standard im Haushalt.
Bei allem dürfen Sie aber nicht vergessen: Geschichtlich befanden wir uns in einer anderen Zeit. Es gab keine Desinfektionsmittel, keine Antibiotika und kaum Medizin. Was Essig zum Heilmittel in der Vergangenheit machte, wurde in der heutigen Zeit durch wesentlich effektivere Mittel ersetzt.
Die Wirkung von Essig heute:
Aber Essig ist heute kein Wundermittel und schon gar kein Heilmittel mehr. Er ist wirksam und praktisch im Haushalt. Nicht mehr und nicht weniger.
Und natürlich können Sie ihn veredeln, darin liegt heute seine wahre Stärke. Denn Essig ist ein fester Bestandteil der Genusskultur. Er verleiht Speisen Tiefe, Charakter und Balance. Dabei verbindet er Tradition, Geschmack und Handwerk auf einzigartige Weise.
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